Streit ums Weltkulturerbe fördert die Globalisierung von unten

Der Freitag vom 11. Juli 2008

Das "Übereinkommen zum Schutz des Kultur- und Naturerbes der Welt" wurde 1972 von der Unesco geschlossen und ist das bis heute stärkste und hoffnungsvollste Instrument, das die internationale Staatengemeinschaft für einen behutsamen, nachhaltigen Schutz natürlicher wie kultureller Ressourcen entwickelt hat. Seine Tauglichkeit ist ein wichtiger Indikator dafür, ob eine global kooperierende Menschheit überhaupt Chancen hat, den Klimawandel, die Bevölkerungsexplosion und andere existentielle Herausforderungen konstruktiv zu beantworten.

Dass mittlerweile 185 Staaten dieses Abkommen ratifiziert haben und damit gemeinsam für den Schutz von 851 Kultur- und Naturerbestätten eintreten, ist ein Hoffnungszeichen für alle diejenigen, die eine andere Welt für möglich halten und dafür täglich einstehen. Immerhin musste erst ein einziges Mal einer der sorgfältig ausgewählten Schützlinge verloren gegeben werden, eine Wüste in Oman.

Konflikte mit dem Welterbestatus sind dagegen fast schon die Regel. Die zuständige Kommission hat eine Wächterfunktion und muss präventiv reagieren, sobald eine Entwicklung die universelle Bedeutung und physische Substanz eines Erbes beeinträchtigt. Mal sind es zerstörerische Angriffe wie Raubgrabungen, Naturkatastrophen, Touristen oder Kriegshandlungen, mal subjektive Fehlleistungen der lokalen Akteure, die der selbst gewählten Aufgabe nicht gewachsen sind. In all diesen Fällen versteht sich die Kommission als Plattform der Weltöffentlichkeit und als konkrete Hilfsagentur. Sie verhandelt.

Das 30 Jahre junge Organ der Staatengemeinschaft lernt mit jedem neuen Fall für die Zukunft, wie auch die nationalen und lokalen Partner lernen, dass es Alternativen gibt. Köln wollte Hochhäuser errichten, die die dominante Vertikalen des Doms relativiert hätten, Potsdam hatte sich für einen Doppelwhooper von Bahnhofsneubau entschieden, Graz´ Traditionskaufhaus stellte die Dächerlandschaft in Frage. Monatelang kommunizierten Bauherr und Bürger über Transparente auf den sanierungsbedürftigen Dächern, ehe der spanische Architekt und die Altstadtkommission sich zufrieden die Hände reichten. Jetzt freuen sich die Grazer nach dem futuristischen Kunsthaus auf ein neues, wenn auch nicht ganz so schreiend anderes Element in der kostbaren Stadt.

Auch Stralsund hat seine Lektion gelernt und sich die Brücke über den Strelasund einiges mehr kosten lassen, als ursprünglich dafür geplant war. Dafür wirkt die ausgesprochen filigrane Konstruktion neben den großen Backsteinkathedralen jetzt wie ein mächtiger Segler auf Reede. Die neue Brücke schützt die nahe Altstadt vor Verkehr, und sie gehört als Zeugnis abermals erwiesener menschlicher Schöpferkraft kongenial ins Bild. Auch in Lübeck, Goslar, Bamberg, Aachen und an der Loreley gab es Diskussionen, weil bestimmte Bauvorhaben der Anmutung des Welterbe zuwiderliefen.

Wenn die Unesco-Kommission nun der Stadt Dresden eine letztmalige Chance einräumte, das von den deutschen Romantikern als Kulturlandschaft par excellence entdeckte sanfte Dresdner Elbtal nicht durch einen groben Brückenbau zu zerschneiden, dann tut sie, was sie immer getan hat und im Interesse einer Globalisierung von unten unaufhörlich fortsetzen muss: Sie appeliert an die Bereitschaft, aus scheinbar fest zementierten Routinen auszubrechen und flexibel neue Wege zu gehen. Die Dresdener, die im Vorfeld der Entscheidung, trotzig „na-und-die-Touristen-kommen-mit-oder-ohne-Titel“ in die Mikrophone nuschelten, markieren einfach das Ausgangsniveau einer noch einmal, und diesmal grundsätzlicher zu führenden Debatte: Wer in Dresden will eigentlich, dass die Welt an dieser Stadt verzagt? Allein der Gedanke ist unerträglich, dass uns jeder Blick auf das Elbtal künftig unserer Unbelehrbarkeit überführt.

Simone Hain

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