Kultur - "Es gab Missverständnisse"

Der Spiegel vom 2. Juli 2007

Unesco-Vertreterinnen "Wir sind nicht gegen jede neue Entwicklung"

Die Unesco-Repräsentantinnen Ina Marciulionyte, 44, aus Litauen und Mechtild Rössler, 48, aus Deutschland über die Brücken-Affäre

SPIEGEL: Das Unesco-Welterbe-Komitee entschied vergangene Woche, Dresden drei Monate Zeit zu geben, um Alternativen zur geplanten Brücke auszuarbeiten. Wie sind Sie zu dieser Entscheidung gekommen?

Marciulionyte: Wir haben in Christchurch viele Gespräche geführt, auch mit Vertretern aus Dresden und der Regierung. Die Situation ist ziemlich schwierig. Wir nehmen zur Kenntnis, dass die juristischen Möglichkeiten ausgeschöpft sind, wir meinen aber auch, dass sich derartige Probleme nicht allein vor Gericht lösen lassen. Wir haben die sächsische Staatsregierung aufgefordert, den außergewöhnlichen Wert und die Unversehrtheit der Welterbe-Stätte zu schützen.

SPIEGEL: Als die Unesco 2004 entschied, Dresden den Welterbe-Status zu verleihen, waren die Pläne für die neue Brücke bekannt. Warum haben Sie nicht damals schon davor gewarnt?

Rössler: Es gab Missverständnisse und Fehlinformationen. Das ursprüngliche Antragsdossier, das auf Englisch vorlag, enthielt keinen genauen Vorschlag, sondern eine Karte mit verschiedenen Brückenmodellen. Offenbar gab es noch ein anderes, internes Dokument auf Deutsch, das allerdings nicht offiziell war, denn alle offiziellen Dokumente müssen in einer der Arbeitssprachen, Englisch oder Französisch, verfasst sein. Wenn ein großes Bauvorhaben ansteht, muss dieses Projekt einschließlich der Entwürfe der Unesco zur Prüfung vorgelegt werden. Dies ist nicht geschehen, und wir haben erst verspätet aus den Medien von dieser bestimmten Brücke erfahren.

SPIEGEL: Was bevorzugen Sie: eine dezentere Brücke oder einen Tunnel?

Marciulionyte: Darüber wurde in Christchurch ausführlich diskutiert. Einige Delegierte befürworten den Tunnel, weil er weniger stören würde als jede Brücke, auch wenn sie anders gestaltet wäre.

SPIEGEL: Das Dresdner Elbtal hat den Welterbe-Titel wegen der einzigartigen Harmonie von Stadt und Landschaft bekommen. Zu diesem Panorama haben immer auch Brücken gehört, zum Beispiel die Augustusbrücke. Warum haben Sie sich ausgerechnet gegen die neue Brücke ausgesprochen?

Marciulionyte: Das Komitee ist nicht gegen jede neue Entwicklung, doch wir müssen sicherstellen, dass die Bebauung die einzigartigen Werte würdigt, deretwegen solch eine kulturelle Landschaft eingetragen ist. Der Einspruch des Komitees stützt sich auf die Studie eines Teams unabhängiger Wissenschaftler. Die Studie der TU Aachen besagt, dass diese Brücke die Intaktheit des Elbtals sprengen würde.

SPIEGEL: Es gibt Gerüchte, dass die Unesco erst dann Einwände erhob, als der Nobelpreisträger Günter Blobel, Vorsitzender des Vereins "Friends of Dresden", sich gegen die Brücke aussprach.

Rössler: Das stimmt so nicht. Die Unesco bekam Informationen von allen Seiten, und wir haben ausgiebig mit verschiedenen Interessenvertretern konferiert, mit der Regierung, der Stadt, mit diversen nichtstaatlichen Organisationen.

SPIEGEL: Gibt es einen goldenen Weg zwischen Bewahrung und Modernisierung?

Marciulionyte: Wir wollen einen Leitfaden für die historische Stadtlandschaft zu einer Unesco-Empfehlung ausbauen. Wir haben auch Entwurfsempfehlungen erarbeitet für Investoren, Architekten und Bauunternehmer, die in Welterbe-Gebieten arbeiten wollen. Es ist erstaunlich, wie wenig diese Leute über den Schutz des Welterbes wissen.

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